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GROOVE Magazin "Ten Years After"
Interview: Dirk Peitz

Es ist fast genau zehn Jahre her, da saßen Rainald Goetz und Maximilian Lenz am Swimming Pool des Hotel Phoenix in San Francisco und unterhielten sich über Techno.

  GROOVE Magazine

Das Gespräch vom 20. Juni 1995 wurde später ein wichtiger Bestandteil des Buchs "Mix, Cuts & Scratches", das Westbam zusammen mit Goetz 1997 beim Merve Verlag herausbrachte und nicht nur die Figur Westbam mit einer geradewegs mythologischen Aura versah, sondern auch wesentliche Überlegungen zur Theorie, Geschichte und Wirkung des Techno enthielt. Zehn Jahre später war es anlässlich des neuen Westbam-Albums "Do You Believe In The Westworld" höchste Zeit, noch einmal zu rekapitulieren: Wie steht es heute um Techno? Wie sieht die Zukunft der DJ-Musik aus? Was ist eigentlich aus der ravenden Gesellschaft geworden? Warum um Gottes Willen wird Westbam demnächst eine Konzerttour mit einer Band aus Schlagzeuger, Gitarrist und Bassist spielen? Wohin soll das alles nur führen, lieber Herr Lenz?

Eines der entscheidenden Zitate aus "Mix, Cuts & Scratches" lautet: "Man will keinen Rock'n'Roll-Scheiß mehr haben. Aber man will die Sounds des Rock'n'Roll herausdestillieren, die Frequenzen, die die Leute angekickt haben am Rock'n'Roll, und das in diese House-Form hineingießen, um damit die Rock'n'Roll-Energie zu erzeugen, aber mit House-Mitteln." Ist das noch immer die Begründung dafür, dass zum Beispiel auf Deinem neuen Album sehr viele Gitarrensounds vorkommen?
Ich habe in den letzten Jahren ja schon häufiger mit Songstrukturen, Gitarrensounds, Rockdrumloops gearbeitet. Da kam dann häufig die Frage: Tja, wie war das denn mit "no more fucking rock'n'roll"? Darauf kann ich tatsächlich antworten, dass das Zitat von vor zehn Jahren immer noch stimmt. Ich kam ursprünglich vom Punkrock, fand aber Disco auch als Teenager schon cool - nur das Glatte, Angepasste daran nicht. Entsprechend habe ich immer danach gesucht, wie man das Rotzige des Punk mit dem Spaß und der Energie von Discomusik verbinden könnte. Später haben natürlich tausend andere Aspekte in meine Musik hineingespielt, aber eben auch solche, die in meiner Jugend prägend waren. Das ließe sich über alle Alben hinweg zeigen, bis hin zum neuen eben. Der Rock'n'Roll-Einfluss war immer da, aber auch einer vom HipHop, vom Electro.

Wobei auf der neuen Platte haufenweise auch noch supersymmetrische Beat-Stakkati zu hören sind. Die erinnern einerseits an Punk, andererseits aber auch an den elektronischen New Wave - nur Achtel- und Sechszehntel-HiHats, gerade Viertel-Bassdrum...
Ich empfinde das neue Album in vieler Hinsicht aber als clubbiger als zum Beispiel das davor. Doch es stimmt, die Platte kehrt wieder stärker zum klassischen DAF-, aber eben auch zum klassischen Techno-Beat zurück, da sind weniger Electrobeats drauf. Ich könnte jetzt natürlich wie zu jedem nur denkbaren Album die Floskel bringen, dass man gerade zu irgendwelchen Ursprüngen zurückkehrt. Doch ich mag es nicht sagen, gerade weil diese Aussage heute flächendeckend für fast jede Musik stimmt. Aber okay, meine Scherzbemerkung am Anfang der neuen Aufnahmen war: Für das Album brauchen wir Schlagzeug, Gitarre und Bass. Aber nicht, weil ich jetzt endlich ein Rock'n'Roll-Album aufnehmen wollte. Sondern dem Zitat folgend, das Du am Anfang gebracht hast: um die Sounds des Rock'n'Roll herauszudestillieren, um eine fortgeschrittene Idee von elektronischer Musik zu entwickeln.

Wir reden also nicht von Retro?
Nein, bestimmt nicht. Heute so zu klingen wie 1980, dafür gibt es gerade genug Bands, die das sehr gut hinbekommen - keiner kann spielen, und so hört sich das dann auch an. Das ist für mich Retro, it's been done, it's been said. Das noch mal aufzuführen, ist komplett hohl. Die Ursprungsidee ist bei mir jedoch insofern nicht weit davon weg, als dass ich jetzt dachte: Man kann die große Ideologie des Punk und New Wave, nicht spielen zu können und es doch zu tun, heute noch einmal anwenden. Aber mit dem heutigen Wissen und der heutigen Technik. Man kann den Spaß am direkten Musikmachen suchen, irgendwas reinsingen, irgendwas reinspielen, das aber dann mit der Erfahrung von zwanzig Jahren Studioarbeit prozessieren.

Ist das auch ein Eingeständnis, dass der Fortschrittsglaube des Techno nirgendwo mehr hinführt? In dem Buch mit Rainald Goetz sind Frontpage-Texte von Dir aus den Jahren 1991 und 1993 abgedruckt, da benutzt Du noch das Bild von sich abwechselnden Epochen elektronischer Musik: Kraftwerk war die Antike, Techno das Mittelalter, Trance die Renaissance, dann sollte der Zusammenbruch folgen und im neuen Jahrtausend die Moderne zurückschlagen. Das klang wie der historische Determinismus marxistischer Prägung, übertragen auf die elektronische Tanzmusik.
Ehrlich gesagt: Als das Buch 1997 erschien, kamen mir diese Texte schon historisch vor. Der Fortschrittsglaube ist in der Techno-Ideologie Anfang der neunziger Jahre festgeschrieben worden und bis heute nie wirklich hinterfragt worden. Aber ich kann mich an Diskussionen Mitte der Neunziger erinnern, als ich bereits das Gefühl bekam: Im Grunde ist das schon passé. Argumentiert wurde immer mit der technischen Entwicklung, die angeblich neue und dann eben fortschrittliche Musik hervorbringen würde. Meiner Meinung nach hatte diese Idee zwar mal ihren Charme, aber wirklich modern war sie nur in den Siebzigern bei Kraftwerk - in den Neunzigern war das schon eine Lüge, aber eine charmante, die ja auch noch etwas brachte. Der vermeintliche Fortschritt ist aber musikalisch endgültig Mitte des Jahrzehnts verschwunden. Über die Vorstellung, dass derjenige mit der neuesten Software die fortschrittlichste Musik macht, würde man heute doch eher lachen. Denn an der Grundsituation hat sich seit zehn Jahren nichts geändert.

Diesen Zeitpunkt, 1995, hast Du gegenüber Rainald Goetz dann als Techno-Hochmoderne bezeichnet: "Eine Zeit, in der jetzt alles klar ist, alles vollständig ausformuliert; wo noch die kleinste Facette von House-Musik zu einem eigenen Stil elaboriert worden ist. Reichtum, Blüte, Vielfalt, Agonie letztlich." Könnte man das für die Gegenwart nicht immer noch genauso formulieren?
Das war wahrscheinlich in dem Sinne eine visionäre Aussage, als dass es damals noch nicht besonders viele Leute ähnlich sahen. Aber ich empfand das schon 1995 als eine Feststellung, die die damalige Zeit beschrieb. Und die die heutige immer noch beschreibt, wie wir jetzt wissen. Das ist ganz ähnlich wie mit der Postmoderne: Die ist auch nie wirklich gestorben, weil nichts Neues sie abgelöst hat. Man kann das als Problem betrachten, aber es trifft auf alle Kunstrichtungen zu. Nur weil es den Glauben an Innovation gibt, hört alles andere Bestehende ja nicht plötzlich auf zu existieren. Rock'n'Roll ist nach Techno nicht gestorben. Und auch wenn ich ehrlich gesagt nie an den Tod des Rock'n'Roll geglaubt habe, war das schon toll, quasi einen Kulturkampf mitführen zu können: Rock'n'Roll versus Techno, alt gegen neu.

War das also nichts als ein Propaganda-Feldzug?
Tja, irgendwann kommt man an den Punkt, wo man versteht: Es handelt sich letztlich bei allen Musik- und Kunstarten um individuelle menschliche Ausdrucksformen. Immer wieder gelingt es Leuten, ihre Persönlichkeit darin so glänzend auszudrücken, dass sie ihre Berechtigung haben. Und es gibt immer genug andere, die daran Gefallen finden. So wenig wie es heute Sinn macht zu postulieren, dass die Malerei abgeschafft gehört, weil man Bilder ja im Computer auf viel modernere Art und Weise machen kann, wird man bei klarem Verstand die Abschaffung der E-Gitarre wegen akuter Altmodischkeit fordern. Natürlich war das albern, dieses Kulturkampfgeschrei. Keine authentische künstlerische Ausdrucksform ist überkommen, nur weil sich die technischen Voraussetzungen geändert haben.

Ist also das Versprechen des Techno gebrochen, dass er schon aus sich selbst heraus und der Art, wie er gemacht wird, fortschrittlich sei?
Dieses Versprechen hat schon die Moderne nicht halten können, wie sollte das der Techno können? Immer neu, immer schön, forever young - das haut nicht hin auf Dauer. Aber das hat man alles schon sehr früh sehen können. Ich habe 1989 schon einen Titel gemacht, der "Back To Future" hieß, und der war damals schon genau so gemeint: Dass das Versprechen, das damals die Detroiter machten, da schon etwas Rührendes hatte. Die haben doch auf uralten Kisten die Zukunft programmieren wollen - schon in den Achtzigern war das retro-romantisch. Techno war in vielerlei Hinsicht von Anfang an keine fortschrittliche Musik, so wie er sich veralterten Instrumenten gewidmet hat. Man könnte das schon als den Geburtfehler von Techno ansehen. Aber: Aus welchen Lügen, Fehleinsichten oder Missverständnissen auch immer großartige Musik und ein persönlicher Ausdruck entsteht, ist am Ende völlig egal. In "Strings Of Life" höre ich Derrick May heraus, und es begeistert mich. Wie sagte Helmut Kohl noch mal: Entscheidend ist, was hinten rauskommt.

Demnach würdest Du aber Techno als Ideologie insgesamt verabschieden?
An Techno hat mich nie die Zukunftsromantik interessiert, auch nicht der Aspekt, Techno als Fortschrittsmoment in der Geschichte der elektronischen Musik zu betrachten. Mich hat stattdessen von Anfang an der Aspekt der DJ-Musik daran gefesselt. DJs machen Musik: Das war das neue Thema, das irgendwann ab Disco anfing und im Techno vielleicht seinen Höhepunkt fand. Darin liegt die eigentliche Entwicklung.

Mit dem neuen Album willst Du aber nicht als DJ, sondern mit einer Band Konzerte geben - ist das aber dann nicht wirklich ein Rückschritt hinter die Entwicklung, wie Musik seit den neunziger Jahren aufgeführt werden kann?
Ich habe lang darüber nachgedacht, aber es gibt ein paar Gründe, weshalb ich das gerade jetzt im Moment versuchen will. Einerseits denke ich: DJing war für mich immer die authentischste Art, wie man elektronische Musik live spielen kann. Bis heute empfinde ich das als logischer im Vergleich dazu, wenn ich mir die Chemical Brothers live angucke. Da habe ich das Gefühl, dass der DJ als elektronischer Musiker mehr Möglichkeiten hat, durch das Mixen von eigenen Sachen und Fremdproduktionen, durch das Variieren von Tempi und Programm - da ist mehr Spielraum als beim reinen Sequenzen-Abrufen. Andererseits: Nach all den Jahren, und so wie sich das als Genre entwickelt hat, ist das DJing auch nicht mehr völlig unproblematisch für mich, jedenfalls nicht mehr heilig und unantastbar. Da ich aber auch nicht wie Kraftwerk auf der Bühne zum Roboter werden will, bleibt nur die klassische konzertante Form: Ein Musiker schlägt auf die Snaredrum, das ist sehr schön einfach und direkt.

Die neuen technischen Möglichkeiten, die zwischen hergebrachtem DJing und Konzertspielen liegen, haben Dich nicht interessiert? So etwas wie das DJ-Tool Final Scratch oder die Laptop-Software Ableton Live, mit denen man auf neue Weise Sequenzen in Echtzeit vorspielen und modulieren kann?
Darüber habe ich auch gegrübelt, aber für mich als Künstler verworfen. Das sind natürlich schlüssige Weiterentwicklungen des DJ-Genres, und in zehn, fünfzehn Jahren wird es kaum noch Leute geben, die als DJ mit zwei Plattenspielern auftreten werden. Bloß: Für Picasso wäre es vermutlich auch nicht interessant gewesen, Computerbilder zu malen - ohne mich jetzt mit Picasso vergleichen zu wollen. Der entscheidende Punkt für mich ist: Man muss mitbekommen, ob da noch etwas passiert auf der Bühne oder hinterm DJ-Pult. Wenn der Mix als Live-Ereignis selbst nicht mehr zu erkennen ist, wird es für mich problematisch. Das ist dann so wie bei den Kraftwerk-Konzerten, wo es später hieß: Die spielen auf ihren Laptops doch in Wirklichkeit alle nur Tetris. Das ist das Grundproblem des Laptop-Spielens, da gerätst du zwangsläufig in einen Rechtfertigungskonflikt. Andererseits finde ich die handwerkliche Seite des DJings auch eher uninteressant - kümmert mich nicht, ob jemand Platten synchronisieren kann, oder ob das ein Computer übernimmt. Das Spannende ist die Möglichkeit, dass die Platte springt oder der DJ sich vermixt, dass also Fehler denkbar bleiben. Das erst macht es doch persönlich und menschlich. Die entscheidende Frage ist immer wieder: Was kann der Mensch mithilfe technischer Mittel transportieren? Was hat er zu sagen? Ein Computer hat nichts zu sagen, und er macht keine Fehler.

Zugegeben: Dieses Rechtfertigungsproblem hat ein Live-Gitarrist nicht. Dessen Arbeit ist unmittelbar sicht- und hörbar, und die Rockmythologie hat es geschafft, das auch noch als authentischste Form der Seelenentäußerung zu etablieren. Aber kann denn der Gitarrist mit seinen Mitteln wirklich noch Neues formulieren?
Klar kann man jetzt postulieren: Gitarre, Bass, Schlagzeug - das ist doch von vorgestern. Aber diese Haltung selbst finde ich wiederum von vorgestern. Sie ist Teil der frühen Fehleinsichten des Techno. Aber damals hat diese Haltung auch noch gute Musik hervorgebracht. Heute jedoch bringt sie gar nichts mehr.

Aber gibt es dazu keine Alternative? Oder andersherum gefragt: Wie lange sind der DJ und der Techno-Performer als Star-Figuren noch haltbar, wenn ihr Tun für das Publikum nicht mehr audiovisuell nachvollziehbar ist? Ersetzen dann die Knalleffekte der modernen Event-Raves nicht irgendwann den Star-DJ? Und wäre das am Ende nicht sogar gut so - ganz im Sinne der alten Techno-Ideologie, dass alle der Star sind und es kein oben auf der Bühne und kein unten im Publikum mehr gibt?
Ich glaube, dass das Event letztlich nicht startauglich ist, weil das doch bloß auf eine hohle Inszeniertheit hinausläuft, die vom Wesentlichen ablenkt. Zum DJ gibt es dann noch den Feuerschlucker und den Stelzengeher, so sieht das ja aus, wenn die Leute was geboten bekommen sollen. Das ist Revue-Scheiße, fand ich immer schon kacke. Tolle Kostüme, tolle Choreografien, tolles Irgendwas - das kotzt mich an. Da kommt bei mir das Erbe der siebziger Jahre wieder raus: Ich möchte lieber Jim Morrisson mit zwanzig Trips intus auf die Bühne stolpern sehen, ich möchte lieber Schooly D. live seine Texte vergessen sehen, ich möchte lieber James Brown umkippen sehen, ich möchte lieber mich sehen, wie ich in Japan von der Bühne springe und mir dabei einen Fuß breche - alles, wo Leute außer Kontrolle geraten, ist besser als eine perfekt choreografierte, gecastete, durchnormierte Abfüllgesellschaft. Das gilt für mein Entertainment-Konzept von Anfang bis Ende. Denn da geht es immer um Herausforderung, um Provokation.

War das Konzept der ravenden Gesellschaft, das in "Mix, Cuts & Scratches" breit diskutiert wird, nicht auch vor allem eine Provokation - und weniger eine echte quasisoziologische Vision?
Klar, in dem Buch mit Rainald war das ja der große Aufreger für viele Leute. Und genau das war damit bezweckt. Heute sieht es so aus, als sei das die letzte große Techno-Provokation gewesen. Techno wird Pop, Techno wird Schlager, Techno wird alles, Techno ergreift die ganze Gesellschaft - diese Behauptung war eine Überraschung, eine Irritation im System, reine Propaganda. Zu dem Zeitpunkt dachten doch die Konzertveranstalter plötzlich: Au weia, jetzt müssen wir in Zukunft nur noch Raves machen! Die hatten echt Schiss. Und der Underground wehrte sich: Das ist ja nicht das, warum wir angetreten sind, wofür wir einst 1991 bei der After Hour gekämpft haben! Um die Provokation geht es bei mir heute tatsächlich noch genauso wie 1995 oder 1985 - das hört sich zwar unterschiedlich an, aber das ist Teil des immer noch gleichen Konzepts. Es muss sich eben anders anhören, um das gleiche sein zu können.

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