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SPEX MAGAZIN
Mein Lebensthema ist DJ-Musik Von Tim Stüttgen und Markus Hablizel"

Er ist ein Meister der Irritation, der Brüche und der unterschiedlichen Phasen. Doch blieb sich wohl kaum ein DJ-Künstler letzlich so sehr treu in seinem Werk wie Maximilian Lenz aka Westbam.

  SPEX

»Do You Believe In the Westworld«, sein sechstes Solo-Album in fünfzehn Jahren, und eine anstehende Tournee mit Band statt Bandmaschine erzeugen munter neue Widersprüche im Rahmen eines lebenslänglichen Konzepts. Right on!

Tim Stüttgen: Stört es dich, wenn ich rauche?
Nein, kein Problem.

TS: Willst du auch eine?
Nein, danke. Ich rauche nicht. Ich habe tatsächlich noch nie geraucht. Schon als Kind auf dem Schulhof habe ich das nicht verstanden. Ich dachte: »Das macht doch gar nicht high. Warum soll ich das rauchen?« Das tut doch weh in der Lunge. Wenn es Haschisch gewesen wäre, hätte ich das Teenie wohl schon probiert. Bei Drogen war ich neugierig.

Markus Hablizel: Ein amerikanischer Freund von mir hat immer gesagt: »I wanna die with a smile on my face, not from fucking cancer«. Der raucht nur Gras.
Wobei, ob dann Nichtrauchen die Garantie ist, mit einem smile auf dem face zu sterben? Andererseits, auch wenn du cancer hast, kriegst du ja Morphium, und dann hast du ja auch ein »smile on your face«, glaube ich.

MH: Ich würde es nicht ausprobieren.
Ich wäre gerne ein Privatgelehrter, der immer mit so einem Privatarzt durch die Gegend jettet, der stets mit geladener Morphiumspritze hinter einem steht. Sehr schick.

MH (klopft sich auf den Arm): Johnson, es ist so weit.
Ja: »Es tut weh, es tut so weh... Schnell ein Schüsschen…« Aber das dürfte nicht asozial sein. Selber fixen ist eklig. Verschiedene Surrealisten hatten das. Picabia, der war ein Kind aus reichem Hause, der konnte sich das leisten, der hatte immer seinen Arzt dabei.

TS: Vor kurzem Jahr hat Anthony »Shake« Shakir im Ostgut aufgelegt. Und was ich cool fand, auch wenn der Anlass eigentlich ein trauriger war: Dass er, weil er wegen seiner Krankheit im Rollstuhl geschoben werden muss, von so ein paar Jungs begleitet wurde, die seine Platten getragen und für ihn den Überblick behalten haben. Das sah schon gut aus. Er wirkte dadurch viel stärker, als wenn ein DJ so ganz alleine rum läuft.
Ich bin ja oft alleine und schleppe dann noch meine Plattenkiste mit mir rum. Da denke ich auch: Die Leute könnten etwas mehr von dir erwarten. So ein Entré. Die Leute können schon erwarten, dass man etwas mehr Welle macht. So von der Decke runtergesegelt kommt oder mit mindestens zehn Leuten aufläuft.

MH: Bist du wirklich so viel alleine unterwegs?
Ich dachte gerade an so Parties in Berlin, wo ich von Zuhause komme. Da würde es sich ja wenigstens mal gehören, dass man sein Arbeitsmaterial schon vorher dahin schafft, dass das nicht alles so vulgär kommt. Da schleppt man dann die Platten an, das ist eigentlich keine Art aufzutreten. Ich ärgere mich immer darüber und dann habe ich es wieder vergessen und mache wieder denselben Fehler.

MH: Ich kann mich noch erinnern, da habe ich dich mal auflegen sehen bei »Macht der Nacht« in München. Weißt du noch, wann das war?
1988 oder 1989. 1987 war es das erste mal in Berlin. ´88 war eine großartige Saison. Das war die Zeit, da haben wir schon vor großem Publikum gerockt. Da gab es ja diese Kultur noch nicht. Das lief so automatisch. Die Musik lief aus sich selbst heraus, ohne, dass sich eine Gruppe damit identifiziert hat, mit Acid-Smiley und so. Das war noch der direkte somatische Effekt von Musik. Wenn man da in München den richtigen Angriffswinkel gefunden hat, dann lief das. In den ersten zwei Wochen hieß es noch: So kannste das hier nicht machen, das geht gar nicht. Die Leute kennen das gar nicht, spiel’ mal die Stones. Ich so: Nee nee, wir versuchen das jetzt erstmal so. Das war ein Riesenerfolg.

MH: Das war aber schon ein größerer Auftritt mit viel Theatralität. Du hast da auch so einen Pappmascheedrachen aufgebaut.
Genau! Exactement!

MH: Feuerspucker und Gummifrauen…
Das war teilweise richtig inszeniert. Da gab es ein Feuerwerk, als ich auftrat. Das war natürlich für die Zeit relativ amtlich. Damals war ich auch der erste, der diese silbernen Flightcases hatte. Die anderen hatten entweder so schwarze Pappdinger oder so Plastik-Kisten. Die Flightcases waren regelrecht unser Markenzeichen, für meinen Bruder (Fabian Lenz aka DJ Dick, Anm. d. Ed) und mich. Jetzt habe ich endlich eine Plattenkiste auf Rollen. Die habe ich nie benutzt, aber als ich einmal in Japan war, habe ich sie mitgenommen. Eine neue Dimension. Der silberne Flightcase ist seitdem abgeschafft. I never looked back.

MH: Man kann das ja als Sinnbild nehmen, wenn man so pathetisch sein will. Jetzt hast du dein Plattencase auf Rollen, wo deine vierzig House-Platten drin sind, und damit wird dann der Abend gestaltet. Damals bei »Macht der Nacht« lief an einem Abend Two Live Crew nach Afrika Baambaata, viel verschrobener Elektro, das war schon wilder und diverser. Und noch nicht so fokussiert…
Genau. Wobei ich sagen muss, dass ich diesem Stil auf bestimmte Art treu geblieben bin. Als ich 1984 im Metronom, als die Karriere hauptsächlich los ging…

MH: Das war in Münster?
Nee, Münster war das Odeon. Das war aber eher für mich so eine Testphase. Damals wollte eigentlich keiner den so genannten DJ-Künstler hören. Das war halt voll, weil ich dufte Musik gespielt hab’. Da lief dann alles kreuz und quer. Im Metropol, das war so ein High Energy-Laden, hundertdreißig BPM die ganze Nacht, da habe ich schon diese Funkrhythmen reingespielt. Was eigentlich totales »no go« ist, in so predominantely Schwulenläden konntest du eigentlich nicht so »bumm-tschik-bumm« spielen. Aber das kam so durch mein Hip Hop-Ding da rein, zum Tempo passte es auch, also warum nicht mal zwischendurch die Rhythmen wechseln? Das ist tatsächlich bis zu dem großen Hit »Sonic Empire« (von Members of Mayday, 1997, No.1 in Deutschland, Anm. d. Ed), wo auf einer ganzen Platte zwischen Viertel-Bassdrum und Elektro-Rhythmik hin und her geswitcht wurde, war das eine Sache, die ich immer gemacht habe. Bei »Sonic Empire« da merkte ich: »Oh, das habe ich mein ganzes Leben immer gemacht.« Bei »Macht der Nacht« habe ich zum Beispiel immer Miami Bass und Chicago durcheinander gespielt. Tyree Cooper und dann Afro-Rican. Dieselbe Beatbox, dasselbe Tempo, das eine mit einer Viertelbetonung, das andere mit dem Funk auf der Eins und den Extrabeats. War das wilder damals? Ich mag diese Zeiten, wo es noch nicht klar ist, wo der Hase lang läuft. Das wechselt immer im Laufe der Jahre. Es gibt immer solche Phasen, wo durchexerziert wird, worauf man sich geeinigt hat. Und das wollen die Leute dann auch hören. Die werden dann auch herrisch, wenn sie das nicht kriegen. Und irgendwann stehen sie damit aber vor der Wand. Und daraus entsteht Irritation. Diese Irritationsphasen sind eigentlich immer meine guten Phasen. Ich mag es lieber, in Irritationsphasen aufzulegen, weil da was Neues passieren kann. In den anderen Phasen wird eher der Knochen freigelegt, abgeschmirgelt, von den letzten Resten befreit. Da wird das Ding verfeinert und kommt vom Zehnten ins Hundertste. Da wird alles immer genauer. Ich weiß nicht, woran es liegt. Man kann natürlich auch sagen, vielleicht hat der da ein zu grobe Wahrnehmung. Aber es hat mir nie so Freude bereitet, die Stile bis ins letzte auszudifferenzieren, über zehn Jahre so eine Verfeinerungsarbeit zu leisten und nur in die eine Richtung zu denken. Das ist überhaupt nicht mein Stil. Sondern lieber bestimmte Entwicklungen mitmachen, für ein paar Jahre, dann aber abbrechen und die Karten wieder neu mischen. Und zum Teil auch das konterkarieren, was davor war. Damit haben dann auch immer wieder Leute ein Problem und fragen: »Was soll das jetzt?«
Mein Lebensthema ist DJ-Musik. Mein Lebensthema ist nicht Viertel-Bassdrum und auch nicht Minimal Techno. Das kommt wahrscheinlich auch daher, dass ich mir zu einem Zeitpunkt meine ersten Gedanken gemacht hab, wo man das beim besten Willen nicht sagen konnte. Außer ganz universell: DJ-Musik. Leute, die da später reinkommen, finden vielleicht eher ihre Heimat in so Nischen. Bis zu einem bestimmten Maße kann ich mich mit so ziemlich allem identifizieren. Selbst mit Trance, das ist eine ziemlich schreckliche Musikform, aber es gibt Aspekte, mit denen ich mich identifizieren kann. So geht es mir eigentlich bei allen Genres. Irgendwo spüre ich da irgendwas, was am Anfang einfach da war, als eine Vision. Bei Trance ist es dieses wirklich fürchterlich auf die Knochen Runtergekommene, die Signale so zu setzen, alles genau so zu machen, dass es mordsmäßig rockt. Wenn es aber dann bloß auf diesen einen Punkt gebracht und zum Gesetz wird, dann ist es traurig und leer. Wenn es dann Jahre so weiter geht, ist es schrecklich. Trance konnte ich tatsächlich schon am Anfang nicht spielen. Wenn jeder schon alles weiß und mitzählen kann, wann der Breakdown kommt und der Trommelwirbel einsetzt, wo die Fläche einsetzt, wann der kurze Titel des Stückes gesagt wird, mit der immer selben Verzerrung, wie die Harmonie da drüber fliegt und die immergleiche Bassdrum einsetzt. Wenn bei allem nach so genannten Regeln der Kunst verfahren wird, finde ich das traurig. Aber das gilt ja ähnlich für alle Stile. Das ist mit Frickel-House ja nicht viel anders. Wenn es nur noch Ausdruck ist von einer Befindlichkeit und von einer bestimmten Gruppe von Leuten, die sagen: »Das ist mein Ding, meine Leute, meine Beats, so hat es zu sein« – da fehlt mir der Wunsch nach Individualiät. Da ist dann der Wunsch, in einer Gruppe aufzugehen, stärker. Entweder in einer großen, wie bei Trance, oder in einer kleinen, bei was Spezialistischem. Damit hatte ich immer ein Problem. Da geht es dann um Konventionen und um gegenseitige Kontrolle. Da wird dann gesagt: »Was macht der da jetzt? He, du Arschloch, jetzt aber zurück ins Glied.« Ich habe mein ganzes Leben lang nicht bei Bundesjugendspielen teilnehmen können. Wenn da die Kinder am schwarzen Brett standen und gefragt wurde: »In welche Riege bist du denn?« Fürchterlich. Ich konnte da nicht hingehen. Allein das Wort Riege.

TS: Was war denn das für ein Moment für dich, als die Techno-Bewegung dann so hieß, wie sie hieß. Einerseits merkst du, ich bring da was ins Rollen, wir entwickeln unsere eigene Kultur mit unseren eigenen Ritualen, aber andererseits kommen dann auch diese ganzen Momente rein, von denen du gerade gesprochen hast.
Ja, genau. Ich würde schon sagen: Wenn es irgendwann mal eine Gruppe gab, für die ich Musik machen wollte, dann waren es echt die Leute in den frühen Neunzigern, mit diesem Techno-Ding. Da konnte ich mich am stärksten mit so einer Gruppen-Sache identifizieren. Vorher gab es ja sowieso keine Gruppe, und später waren das dann eher so auseinander brechende Schollen, wo ich für mich auch nicht so die eine bestimmte sah. Die frühen Neunziger waren am ehesten so eine Zeit, wo ich das Gefühl hatte, Techno ist ein Gemeinschaftsprojekt und alle arbeiten sehr stark an einer ähnlichen Sache.
Zum Beispiel gab es am Anfang ja sehr stark dieses Ding mit der so genannten harten Musik – und wie wird die noch härter? Das ist lustig, weil wenn man sich die Platten heute anhört, dann klingen die wie House-Musik. Da hab es einen Typen, der nannte sich Roland 128bpm. Das war `ne krasse Ansage damals! Weil, die meisten Sachen waren bei 124, und wenn einer dann einfach vier Beats schneller gemacht hat, das war schon mal `ne Ansage. Das letztendlich tolle an der Zeit war: Es war eine kleine Gruppe von Leuten, es war auch in Berlin diese berühmte Stimmung, in der die Mauer runterkam und so weiter. Und es gab das magische Wort »Techno«, aber es war noch nicht definiert. Es gab diesen Begriff »Härte«, aber darüber hinaus hatte ein Techno-Abend alle diese Ingredienzien, die heute in verschiedene Stile auseinander gedriftet sind. An einem solchen Techno-Abend damals konnten theoretisch Breakbeats laufen, da konnten House-Beats laufen, da konnte Acid laufen, da konnten diese orchestralen belgischen massiven Sachen laufen, aber auch Detroit oder dieser Ansatz von Chicago-Ghetto, Robert Armani… Da lief alles mögliche. Weil es eben auch noch nicht so abendfüllend ein Ding gab. Und da war jedes Wochenende ein Abenteuer. Du bist da gespannt hingegangen und warst neugierig auf das, was die DJs da veranstalten. Wie definiert der oder der das? Das war eine Zeit, in der ich mich am meisten mit einer Gruppe von Leuten identifizieren konnte oder wollte.

MH: Was war denn die Gruppe und was waren ihre Orte? Was mir so gut gefallen hat, war, dass es auch so einen Internationalismus ausgestrahlt hat. Das kannte ich vorher gar nicht. Da schien Berlin neben Detroit oder Chicago zu liegen. Das war für mich auch immer so ein Faszinosum: Wow. Das geht?
Das stimmt. Das ist ein Kennzeichen dieser großen Neugierde von damals. Das war unglaublich spannend. 1989 haben wir zum Beispiel das erste Mal Derrick May ins UFO geholt. Oder das erste Mal Joey Beltram oder Underground Resistance. Da waren alle so neugierig. Auf diese Internationalisierung folgt dann aber irgendwann wieder die totale Regionalisierung. In den letzten Jahren konntest du ja kaum noch einen DJ aus den Staaten nach Berlin holen, weil die den Style der Stadt nicht treffen. Und die Stadt will bis zu einem gewissen Punkt auch nur noch den Style der Stadt hören. Das war eben damals anders. Heute schauen die Leute schon auf die Uhr bis der DJ von um die Ecke auflegt. Der bringt dann das Vertraute rein. Das hat natürlich beides seine Vor- und Nachteile. Einerseits finde ich auch den Zug sympathisch, dass eben auch Köln, Hamburg, München, Nürnberg, Mannheim, jede Stadt ihren Sound hat. Und in Berlin dann jeder Stadtteil und irgendwann jede Disco und jede Straße. Das ist darauf irgendwie gefolgt. Erstmal hat es die ganze Welt vernetzt, aber dann hat sich in den nächsten Jahren wieder jeder seins raus gezogen und es ist wieder ein unglaublich regionales und dezentrales Ding geworden, was ja von der Idee her auch was Gutes ist. Bloß ist es dann echt schwieriger, unterwegs zu sein. Das hat das Konzept des reisenden DJs erstmal in Frage gestellt. Weil dann auch die Leute am Ort nur das gekriegt haben aus dem Blickwinkel, den sie auf die Techno-Welt haben. Da gab es eben gar nicht mehr so das Interesse, auch noch vorgeführt zu kriegen, wie das der DJ X oder Y aus Miami so sieht.

TS: Wurde das dann auch eine zunehmend schwere Zeit für Leute wie dich, die einerseits den Respekt der lokalen Community haben, aber andererseits schon immer international dachten und auch immer ein Maß von Leuten erreichen wollten, das über so einen strikten Zusammenhang hinaus ging.
Natürlich. Wir waren, weil wir die Ersten waren und damit auch immer einen Schritt voraus, schon immer suspekt. (Unser Label) Low Spirit war das Königreich des Bösen, zu Zeiten, da haben wir schon Low Spirit-Studios auf die Platten geschrieben, obwohl wir nur ein Mischpult hatten, was beim William (Roettger) im Wohnzimmer stand. Wir haben zu dritt in dieser WG gewohnt und gearbeitet, inklusive Nachbarn, die sich beschweren usw. Aber wir hatten eben das Mischpult schon, und wir hatten schon eine Platte gemacht. Und die anderen hatten eben noch keine gemacht. Oder ich hatte dann schon in England gespielt, und die anderen hatten eben noch nicht in England gespielt, oder in Detroit. 1989 hatten wir schon einen Charthit. Und wir hatten ´88 schon Hits, die dann irgendwo auch Hits in Detroit oder New York waren, oder so was wie »Monkey Say Monkey Do« in Belgien. An diesen Orten, wo die Musik herkam, kannten die mich und Low Spirit auch und hatten unsere Platten gespielt und teilweise gab es da auch so Verstrickungen mit (dem belgischen Label) Go Bang! oder (dem Produzenten) D-Shake, mit diesem ganzen frühen Techno-Zeug. Die hatten ihre erste Platte bei uns gemacht. Auch Moby hat eine seiner ersten Platten bei uns gemacht. Da gibt es jetzt eine Platte von Moby, die bei uns raus kam, unter dem Pseudonym »Brotherhood«, da werden jetzt 500 Euro für bezahlt. Das war in der ganzen Geschichte unseres Labels die schlecht verkaufteste Platte. Die hat 25 Copies verkauft.

MH: Vor so einem Hintergrund, da ging es uns beiden ähnlich, fiel es uns auch schwer die neue Platte irgendwie einzuordnen, außer irgendwann zu sagen: Das ist eine Westbam Platte. Alles und Nichts, wenn man es kategorisieren will. Wie macht man das dann, mit dieser Geschichte im Rücken, mit dem Durchlaufen von so vielen Phasen, Ausdifferenzierungen, Internationalisierungen und Regionalisierungen. Wie geht man dann an so eine Platte? An Musik generell?
In gewisser Weise fällt mir heute Musik machen wunderbar leicht. Ganz am Anfang wusste ich ja noch überhaupt nicht, wie so Musik geht. Ich hab angefangen damit, in einer Punkband zu spielen, auf dem Level, dass man überhaupt nicht spielen kann. Also auch keine Instrumente stimmen. Auch nicht drei Akkorde spielen können, sondern keinen Akkord.

MH: Du hast Bass gespielt?
Ja, ich habe Bass gespielt. Wir haben aber auch nicht gestimmt, ich wusste auch nicht, wie das geht. Das hat uns auch nicht interessiert. Da hatten wir aber auch schon Korg-Synthesizer. Wir wollten halt auch geile Geräusche machen und Synthies waren neue geile Geräusche. Deshalb waren die dabei. Da haben wir dann alle so reihum daran rumgespielt. Aber das auch immer so trial & error-mäßig. Um die Zeit ging es dann auch mit Elektronischer Musik los, so 1980. Klaus Jankuhn, mit dem ich die Musik bis heute mache, also fast fünfundzwanzig Jahre jetzt, habe ich in einer Projektgruppe für elektronische Musik an unserer Schule kennen gelernt.

TS: An welcher Schule?
Am Pascal-Gymnasium in Münster. Da gab es so Projekt-Tage, mit Sportgruppe und Töpfergruppe oder Bastelgruppe. Und dann gab es eben auch eine Gruppe für »Elektronische Musik«. Da haben wir uns getroffen. Unsere ersten Demos haben wir dann ´83 gemacht und unsere erste Platte kam ´85 raus. Damals war das ja noch relativ autistisch. Es bezog sich ja noch nicht auf irgendeine Szene. Es gab dafür ja auch noch keine Labels oder Begriffe. Ich weiß noch, wie ich dann anfing, irgendwelche Imports zu spielen, ohne zu wissen, was das ist. Irgendwann nannte man das dann House-Musik, okay. Das wuchs irgendwann zusammen und man wusste das gar nicht. Mit der Acid-Zeit darauf gab es dann plötzlich so eine Gruppe von Leuten, die sich mit dieser Art von Musik, wie wir sie auch gemacht hatten, anfing zu identifizieren. In dieser Zeit hat man dann irgendwann so einen Soundtrack für diese frühe Techno-Szene gemacht. Da gab es dann ja auch diese Rave-Sache. Und das war auch sozusagen eine Erfindung für andere Leute und eine Umsetzung von irgendwas, was in der Luft war. Da wollte man wirklich auf den Punkt bringen, was da irgendwie war. Das war soziale Musik für mich. Ähnlich wie die frühen Neunziger, wo diese UFO-/Planet-/frühe Tresor-/Walfisch-Szene, das alles widergespiegelt hat, so haben diese Platten dieses verrückte Schauspiel einerseits getriggert, andererseits auch nur übersetzt. Die Musik dagegen, die wir jetzt auf den letzten zwei LPs machen, ist für mich wieder mehr so eine Musik, bei der es jetzt nicht darum geht, eine bestimmte Gruppe von Leuten auszustatten. Auf der letzten LP hatte ich ein Stück, das hieß »Disco In My Head«, und das ist im weitesten Sinne dieser frühe Ansatz. Weil es ja eigentlich nur die »Disco In My Head« gab. Früher stand ja auch »Disco Riot« drauf. Das war eine frühe Vision von Disco, aber doch noch mehr Energie, doch auch noch Punkrock und was Krasses zusammengebracht. Jetzt ist es wieder ein bisschen mehr in dem Sinne mit den frühen Sachen verwandt. Kein Soundtrack für eine Szene, aber trotzdem hoffen, dass sich andere damit identifizieren können und es ein Publikum findet. Jetzt ist ja auch die Zeit, wo es die Szenen alle gibt, die Stile und die Clubs. In dem Sinne ist da aber auch wieder mehr Platz für individuelle Statements. Da muss nicht mehr so stark aus sehr engen Zusammenhängen gedacht werden, die es eh schon gibt. Das fände ich eher langweilig für mich. It´s been done and said und ich freu mich ja auch, dass es gute Leute gibt, die immer wieder für die verschiedenen Sachen Futter nachhauen. Aber für mich als Musiker will ich mich da nicht zu eng in diesen Stilen bewegen. Wenn, dann will ich meinen eigenen Stil definieren. Bei der LP davor war es sogar noch so, das ich noch bewusst versucht habe, große Ähnlichkeiten auch so auszuwählen und in einen konzeptionellen Zusammenhang zu stellen. Ich weiß nicht, ob das so angekommen ist, aber es war von mir so gedacht. Da wollte ich schon sehr klar eine Handschrift definieren.

TS: Das wirkte auch wie ein richtiges Autorenalbum. Bei dem neuen ist das genauso, aber schon wieder etwas lockerer finde ich.
Ja. Hier wollte ich auch schon fast wieder mehr eine Compilation machen. Das, was mir in den letzten zwei, drei Jahren am besten gefallen hat, nehmen, in der Hoffnung, dass ich genug Flavour hab, dass ich sie nicht mehr aufeinander zustutzen muss, um so seine Vision einer Geschlossenheit von Stringenz und Kohärenz zu erzeugen. Die Hoffnung war, dass jeder Track für sich ein Statement ist und dass sie irgendwo ihre Geschichte in der Beziehung zueinander erzählen, ohne das sich da jetzt noch eingreifen muss. Wobei ich betonen muss, dass, es wenn es darum geht, die Reihenfolge auswählen zu müssen, immer fast wahnsinnig werde. Bevor eine LP rauskommt, habe ich immer tausend Reihenfolgen aufgeschrieben. Da werde ich manisch. Das ist ja auch das, was ein DJ macht, Stücke in einer Art aneinander hängen, dass immer das nächste Stück gut klingt und dass man sich gut fühlt damit. Und auch gar nicht immer genau weiß, warum jetzt. Ich könnte das jetzt auch theoretisieren und auf einer Liste aufschreiben und mir denken, das müsste nach dem passen – aber ich höre es mir dann an und weiß, es passt konkret nicht. Ich weiß nicht, warum es nicht passt, aber es passt nicht.
Bei diesen vierzehn Stücken jetzt haben wir uns sogar hingesetzt und mathematisch die vielen verschiedenen Möglichkeiten ausgerechnet, was man alles an welchem Punkt verbinden kann. Bei vierzehn Aufnahmen hast du logischerweise tausend Möglichkeiten von Reihenfolgen. Das ist Wahnsinn. Das ist natürlich auch ein Tick von mir und so und so viel Reihenfolgen verbieten sich sowieso von selbst. Zum Schluss muss ich das dann auch immer Leuten vorspielen. Und meistens passiert es dann auch – das ist eigentlich auch für mich eine Schande als DJ – dass dann irgendwann jemand reinschneit und sagt: »Mach doch das Stück zuerst«. Und ich dann so: »Oh ja, Mann, warum bin ich darauf nicht gekommen!« Ich will ja auch ein diverses Album, aber jetzt auch nicht so was Unverbindliches, wo ich dann sage, ich habe da für jeden was drauf. Dazu kommen ja auch noch andere Wissenschaften, die Abstände der Tracks zueinander, die Pausen, damit es nicht so Mixtape-mässig klingt. Gib` mir noch ein paar Wochen, und ich mach dann wieder eine andere Reihenfolge. Damit werde ich eigentlich nie wirklich fertig.

TS: Aber diese Schwierigkeit, die du beschreibst, kommt ja erstmal von einer unglaublichen Freiheit. Weil bei den Tracks, die auf dieser Platte sind, eben nicht sofort klar ist, welcher Logik sie sich zu unterwerfen haben.
Genau. Man muss ich dann auch erstmal bewusst machen, wie viele Möglichkeiten man hat. Ich bewundere auch diese Leute, die sich ihrer Sache so sicher sind, so dass sie gar nicht sehen, wie es auch soviel anders gehen könnte. Ich habe immer Angst, dass ich etwas Entscheidendes verpasse, weil ich es nicht gesehen habe. Es gibt Leute, die kommen in diese Problemstellung gar nicht rein. Für die ist das ganz logisch, die haben da nie länger drüber nachgedacht. Für mich gehört dieser Prozess aber einfach dazu. Ist schon gut, dass ich mich irgendwann beschneiden muss und die Sachen abgegeben werden müssen, aber ich versuche bis dahin wirklich manisch, dass goldene Ding auf den letzten Metern zu finden. Letztendlich helfen mir dann lustigerweise auch immer Leute, die gar nicht so viel Ahnung von diesem Produzieren haben. Die sitzen dann da und sagen: »Das oder das ist gar nicht so gut.« Und ich denke dann nur noch: »Stimmt, das ist gar nicht so gut. Ich habe leider jetzt ein halber Jahr nur darüber nachgedacht, aber es ist wirklich nicht so gut.« Bei mir reicht es meistens schon, wenn ich jemanden dazusetze. Der muss gar nichts sagen. Das reicht schon vollkommen, dass der da ist. Du setzt einen dahin, spielst was, merkst gleich: »Alles klar. Alles falsch.« Weil du das dann alles spürst. Du hörst es. Sonst hörst du es aus der Immanenz des eigenen Wahnsinns und des Konzepts. Dann setzt du einen daneben und hörst es auf einmal, wie der das hört. Ich muss den noch nicht mal angucken. Aber ab diesem Moment bis du mit deiner Sache in einer Öffentlichkeit. Und da ist alles anders und du hörst es plötzlich auf eine Art, wie du es die vorigen drei Wochen nie gehört hast. Das fasziniert mich, dass das lebenslänglich so ist. Dass man irgendwann glaubt, sich den Typen da einfach hindenken zu können. Aber es geht nicht. Der muss schon da sitzen.
Oder auch diese Reflexe, sich immer wieder hinzusetzen und das und das auszuprobieren, weil man es noch nicht perfekt findet. Mittlerweile gibt es ja die Low Spirit-Studios wirklich und da sitzen dann so Leute wie der Hardy Hard, der wirklich ein Frickler vor dem Herrn ist, der permanent mit so geröteten Augen und einer Tüte da sitzt und sich über einen Drumloop in den Wahnsinn steigert. Die Hi-Hats hin und her schiebt und immer wieder will, dass alles noch fetter klingt. Das ist toll zu sehen, wie die Leute mehr oder weniger den Kölner Dom erbauen wollen und mit den kleinsten Schnitzereien anfangen. Und auch der Meinung sind, dass sich die Architektur aus dieser Schnitzerei logisch ergibt. »Wenn ich dieses Steinchen erstmal richtig geschnitzt hab, ist der ganze Bauplan klar« – das sagt der mir auch. Ich frage: »Hardy, was ist denn die Hauptidee bei dem Track?« »Ja, da komm ich drauf, wenn ich erstmal die Details richtig hingeschoben habe, dann hör ich, welche Melodie das sein muss.« Das finde ich einen völlig verrückten Ansatz. Letztendlich leben die guten Sachen, so simpel sie auch sind, von den ersten paar Ideen. Entweder die paar guten Ideen grooven gut zusammen oder eben nicht. Das lässt sich nicht erzwingen. Musiker glauben ja immer, dass man dann nur an dem Rädchen drehen muss und dann wird aus etwas Mittelmäßigem der größte Klassiker aller Zeiten. Das ist aber nicht so. Früher habe ich ein halbes Jahr an Sachen herum gedoktert, »Disco Deutschland« war eine Doktorarbeit! Das Stück haben wir uns jetzt noch einmal angehört, weil es auf so einem SZ-Magazin-Sampler drauf soll, wo die groooßen Klassiker der Musikgeschichte versammelt werden. Ich dachte, »Disco Deutschland« ist doch überhaupt kein Klassiker! Nur das Wort, die Platte ist einfach nur verschroben. Es gab eine Version, die ist mehr oder weniger Acapella über einen Marschrhythmus. Da kommen alle zu Wort, von Africa Bambaataa über Adolf Hitler bis hin zu Thomas Mann. Das ist für mich die beste Aufnahme, da ist der Hörspielwahnsinn auf den Punkt gebracht. Ich habe das für den Hörspielpreis der Kriegsblinden vorgesehen, bisher ist mir das aber verwehrt geblieben. Immerhin ist es jetzt auf dem SZ-Sampler, zusammen mit »Lambada« und anderen großen Hits aus allen möglichen Genres, ein großes Kompendium.

TS: Ich finde es schwer zu verstehen, wie du mit den Forderungen an dich umgehst, wie du zu klingen hast und es trotzdem vermeidest, in so eine Falle zu tappen, dich ständig differenzieren zu müssen. Du scheinst es immer wieder zu schaffen, so einen Impuls zu finden, was kickt oder was geil ist und was nicht nur die neue Arbeit an deinem Bild ist. Wie erhält man sich das?

MH: Da kommt dann auch der Titel der Platte ins Spiel: »Do You Believe In The Westworld?« Was ist denn die »Westworld«?
Es gibt ja so unglaublich viele blöde Klischee-DJ-Alben, auf denen es um die großen Fragen des Lebens geht, eigentlich aber immer um ihre Welt. Da fand ich dann als Westbam die Frage »Do You Believe In The Westworld?« einfach geil. Wenn DJs mal einen Text schreiben, dann geht’s da ja vor allen Dingen um den Sinn des Lebens. Zuletzt gab es Timo Maas mit »This Is The First Day Of The Rest Of Your Life«, ganz große Bedeutung, drunter treten wir nicht mehr an. Wie bei Trance, da geht auch nichts unter »Eternity« ab. Große Gefühle, große Worte, nicht viel dahinter. »Do You Believe In The Westworld?« ist eigentlich nur eine Coverversion von Theatre Of Hate. Ich wollte es nur als Bearbeitung haben, wir haben nur eine Phrase aus dem Stück benutzt. Wenn man es aber mit geldgierigen Engländern zu tun hat, sagen die: »Machen sie das, aber alles Geld bitte an uns.« Vom finanziellen Aspekt ist das ärgerlich, noch ärgerlicher aber vom künstlerischen. Das Autorenrecht ist eben so, der Verlag kann das sagen, obwohl da nur ein Stück übernommen und der ganze Rest neu erfunden wurde. In allen anderen Interviews wurde die »Westworld« übrigens politisch interpretiert, da musste dann politisch diskutiert werden, über die westliche Welt von heute. Ich glaube, das ist typisch Westbam, weil ich immer eine Schwäche für große Worte und Ansagen hatte. Das ist ein Problem, das Leute immer mit dem Act gehabt haben. Zu meiner Verteidigung kann ich sagen, dass ich mich immer bemüht habe, auch wenn es die großen Hammer sind, nie die großen Klischees rauszuhauen. Dieses Reiten auf Klischees, ich muss einen Text schreiben, also etwa über den Sinn des Lebens. Da muss man den Leuten etwas Positives mit auf den Weg geben, wie sie ihr Leben zu leben haben, sie diese große Chance ergreifen sollen, jeden Tag auf’s Neue. Man muss auch immer fest an sich glauben, das ist auch immer wichtig. »Als ich von der Tour zurück kam, fühlte ich mich ausgebrannt, blablabla.« Es gibt von Flaubert dieses Wörterbuch der Allgemeinplätze, das hat mir die Augen geöffnet. Teilweise sind das noch aktuelle Allgemeinplätze, teilweise veraltete. Da kann man sehen, was die sich vor 200 Jahren immer zugerufen haben. Für mich habe ich dieses Wörterbuch weitergeschrieben. Etwa dieses Veteranentum. Immer wenn ich Interviews gebe, wird stillschweigend gesagt: »Wie ist denn das? Jetzt kommt man doch etwas schwerer aus dem Bett und man steckt das nicht mehr so gut weg wie mit 20.« Komisch, ich steck’ das jetzt viel besser weg als mit 20. Klar, es gibt einen Alterungsprozess und man ist mit 60 nicht mehr so fit wie mit 20, das ist offensichtlich. Wenn das andere aber schon immer gesagt wird, könnte man zur Abwechslung doch auch mal was anderes beleuchten, wenn man sich dazu schon auslässt. Es stimmt z.B., dass man mit vierzig etwas schlauer ist und sich das besser einteilen kann und etwas besser daran gewöhnt ist. Insofern kann ich das tatsächlich besser wegstecken als mit 20. So geht das also immer weiter, sowohl in der Musik, als auch in dem, was gesagt wird. Ich finde es schön, wenn man dem mal entfliehen kann.
Als ich im Odeon angefangen habe, Platten zu mixen, kamen Leute, die gesagt haben: »Hör auf jetzt, ich will nicht mehr auf das Stück tanzen, was soll denn das. Ich merk’ ja gar nicht, dass das Stück aufhört und jetzt soll ich auf das nächste auch noch tanzen? Spinnst du, oder was?« Oder: »Jetzt spielt der ein paar Stücke mit demselben Beat hintereinander, da kann ich doch nicht dazu tanzen.« Das ist dann eine stumpfsinnige Wirklichkeit, mit der man sich auseinanderzusetzen hat. Heute ist es genauso, nur umgekehrt. Die Leute sagen: »Wenn ihr nicht die ganze Nacht denselben Rhythmus spielt, wie soll ich denn da tanzen?« Die Leute nehmen etwas wahr wie es ist und haben nicht die Vision oder den Wunsch, dass sich da etwas daran ändert. Es ist so und soll gefälligst so bleiben. An diesem Beispiel kann man sehen, dass mit derselben Impertinenz etwas eingefordert wird, was immer so war und immer so zu sein hat. Die Leute empfinden das als natürliche Ordnung der Dinge. Da tun sich Leute hervor, die wie ein Polizeiobermeister darauf achten, dass das jetzt bitteschön so zu sein hat. In diesen Subszenen ist das besonders obskur, weil es da so daherkommt, als wäre es etwas Anderes als in der anderen Welt. Dabei ist es ja genau dasselbe, aber haargenau dasselbe. Da wird immer gesagt, man ist schlauer als diese Prolls oder so Leute, aber man macht ja haargenau dasselbe. Vielleicht in grün, aber dasselbe. Nämlich sich genau wie die keine eigene Meinung bilden, sondern eine Meinung übernehmen. Ein bestimmtes Soundsetup als Gesetz übernehmen, alles Sachen, die man nicht aus sich selbst heraus geboren hätte und nur kritiklos und ohne Zusatz an irgendeiner Stelle übernommen hat. Für mich ist es einfach spannender, wenn ich mich nicht darum schere, ob es in irgendwelche Gruppenphantasien hineinpasst.

TS: Du hast vorher von so Wellenbewegungen gesprochen. Was glaubst du, was ist das im Moment für eine Zeit?
Im Moment habe ich Spaß, weil es nicht die Heilsbotschaft gibt und das ist immer schön. Es ist anstrengender für die Leute, aber für mich ist es angenehmer. Vor ein paar Jahren war die Technoszene unglaublich festgefahren, dieser volkstanzige Teil. Techno war dieses Perkussive, Verzerrte, 140 Bpm, sogenannte Schranz-Musik. Irgendwann hat es sich dann an die Wand geschranzt, das man gesagt hat: »Ja, stimmt, das wollten wir die ganze Zeit, aber warum eigentlich?« Das sind genau die Phasen, in denen die Leute ihr Selbstbewusstsein in ihrem Stunpfsinn verlieren, das ist immer angenehm. Die Leute werden verunsichert, es öffnet sich und es ist erlaubt, sich verschiedene Sachen anzuhören, weil sie noch keinem neuen Gesetz unterliegen. Eine große Phase war Post-Rave, so 96/97, danach spitzte sich das dann wieder in Richtung Trance, Techno und so intelligentem Frickelzeug zu, es hatten sich Nischen gebildet und jeder war so in seiner Nische glücklich. Irgendwann waren dann Jahre ins Land gegangen, man hatte es sich in seiner Nische bequem gemacht und gesagt »Schön war’s ja und auch wichtig und wir haben nix falsch gemacht, aber gibt es denn nicht vielleicht doch noch etwas Anderes?« Das sind dann wie gesagt meine Auftritte, habe ich das Gefühl. Ich will den Leuten aber auch kein neues Gesetz verkaufen oder so. Ich will etwas ausprobieren und sobald es sich festigt, habe ich zwar noch einen gewissen Spaß an der Festigung, dann kann ich aber auch wieder was Anderes machen. Wenn alle gesehen haben, wie er das so macht, muss ein neues Element reinkommen, das die Karten wieder neu mischt und vor allem der Irritation dient. Weil Irritation letztendlich das ist, was uns voran bringt. Klarheit bringt gar nichts, Irritation bringt alles.

MH: Du lebst aber auch ein Stück davon, dass du der Meister der Irritation sein kannst. Ja, stimmt. Aber die Leute freuen sich ja auch über die unterschiedlichen Stile, die er da wieder rauskitzelt. Die fliegen dann eine Weile und man reitet dann einen Moment lang das, was man Neues gemacht hat. Ein großer Teil meiner Popularität kommt wahrscheinlich aus diesen Phasen, wo man so Breaks runterhämmert, - alle wissen wie’s geht und freuen sich dran. Im nächsten Jahr spielt er dann aber Elektro und die Leute verstehen die Welt nicht mehr. Was hat denn das noch damit zu tun, was vorletztes Jahr war? Das (Electro) war wahrscheinlich einer der krassesten Schnitte, weil es Tempo-, Rhythmus- und Soundsetup-mäßig nicht schnell war. Ich fühle mich als Künstler in beiden Phasen wohl, nur zum Ende einer Phase hin wird es dann immer ein bisschen doof. Man muss dann ein bisschen Abschied nehmen, genau den Moment treffen, muss sein Bündelchen schon irgendwie zusammen haben und das Lenkrad herumreißen. Die Endphasen sind das Stressigste, am meisten Spaß machen die Chaosphasen, Musik- und Partymäßig.

MH: Ist das denn strukturell ähnlich wie du Musik machst und deine Plattenkiste packst? Da gibt es ganz verschiedene Methoden, das ist eine absolute Wissenschaft für sich. Das perfekte Rezept gibt es nicht. Ich habe schon super Abende dadurch gespielt, dass ich nicht sortiert habe. Damit kann man sehr gut fahren. Wenn du das in eine bestimmte Ordnung bringst, ist es eine gedachte Ordnung. Wenn du aber aus dem Chaos zusammenfügst und einen guten Abend hast, kann da ein völlig neuer Aspekt entstehen. Der kann eher schlechter entstehen, wenn du gut ordnest. Ein alter Spruch von mir ist ja: »Die besten Abende sind die, an denen ich anfange Platten zu spielen, die ich gar nicht eingepackt habe.« Im Sinne von »So wie ich sie spiele, habe ich sie noch nie gespielt.« Plötzlich entsteht zwischen diesen Platten wieder ein neuer Ansatz. Wie so eine perfekte Ordnung auszusehen hat, da gibt es verschiedene Ideen. Entweder ordne ich nach Intensität, was ja sehr viele DJs machen, von unverbindlich zu super krass. Oder ich mache mir bestimmte Gruppen von Hauptaspekten, z.B. eine Gruppe von Platten, die so ein bisschen die Rock’n’Roll-Aspekte drinhaben und dann die anderen mit dem eher sparsamen Techno-Ding. Dann habe ich zwei Hauptgruppen und vielleicht einen dritten Stapel mit Sachen, die irgendwo dazwischen sind oder noch so ein Chaoshaufen. Manchmal geht es auch streng nach verschiedenen Styles oder nach Warm Up Peak Time und späte Zeit. Wenn ich weiß, dass ich irgendwo nur als Lehrer bin und nicht als Schüler, das gebe ich gerne zu, gerade in der heutigen Zeit, überlege ich mir auch schon mal vorher ein Set. Ein Set überlegen heißt: »Das soll heute mein Statement sein.« Die Leute wollen ein Statement von mir und auch nix Anderes hören. Ich finde es ja sehr angenehm, wenn ich den Leuten keine Logik aufdrängen muss, sondern wenn sich diese Logik aus dem Spielerischen ergibt. Es gibt eine bestimmte Art Publikum, das braucht einen DJ-Führer. Wenn die merken, der will uns austesten und mit uns spielen, finden die das nicht gut. Die wollen ja hören, was ich spiele, was sie von mir eben erwarten. Ich will das mal den französischen Ansatz nennen: Die Tugend kann nur durch den Terror herrschen! Der DJ-Führer befiehlt, wir folgen. Damit komme ich nicht so gut zurecht und in den Fällen ist es angenehm, ein Set zu haben. Wenn du anfängst rumzuspielen und es kommt nicht gut, dann irritiert mich das oder turnt mich ab und der halbe Abend ist verritten. Vielleicht nicht ganz so krass, aber mir fällt das dann eben auf. Da hat man dann versucht, etwas aus dem Spielerischen zu entwickeln, obwohl gar nichts Spielerisches da ist. Das geht dann nicht.

TS: Eigentlich ist es ja ein Kompliment, wenn die Leute DICH hören wollen. Aber natürlich ist es anders, wenn du mit den Leuten etwas machen willst.
Wenn es nur darum ginge, ein Set zu haben, da kann ich doch echt ein Mixtape vorher machen. Dann könnte ich in zehn Discos gleichzeitig spielen. Ich bleibe zuhause und an hundert Orten gleichzeitig läuft mein Statement, weil ich auf nichts eingehe, was um mich herum passiert. Ich muss dann gar nicht persönlich erscheinen.

MH: Ich habe dich auch immer als einer der wenigen DJ-Charismatiker gesehen. Und Charisma wird immer sozial hergestellt, gemeinsam mit den Leuten. Ich gehe also hin um Westbam zu sehen, mal schauen, was kommt.
Genau. Das mag ich als Einstellung auch am liebsten, dass Leute überrascht werden wollen und das so eine Offenheit hat. Mit dem anderen kann ich dealen. Wenn ich in Belgien spiele weiß ich, du musst unglaublich stringent sein, das muss so eine ungeheure Logik haben. Sonst empfinden die das als WischiWaschi. Die glauben sonst, der weiß nicht was er will. Das ist am Ende des Tages natürlich kein Eindruck, den ich erzeugen will. Die besten Abende sind sicher nicht die, wo ich einfach etwas runterspiele, sondern die, an denen auch für mich etwas Neues entsteht. Das entsteht dadurch, dass eine bestimmte Platte in einer bestimmten Situation läuft, die mich dazu bringt, eine bestimmte andere Platte zu spielen. Dadurch ensteht für mich ein neuer Blickwinkel auf meine Plattenkiste. Das ist das, wovon DJ-Musik eigentlich handeln sollte. Mit einer Kiste kannst du so unterschiedlich spielen und da ist bestimmt noch ein völlig anderer Set drin, auf das ich nie gekommen wäre. Das ist eine Art Mehrwert, den ich erwarte, dass es mir auch was Neues bringt. Das klassische Kompliment an DJs ist ja: »Der hat sein Ding durchgezogen.« Das gilt als das ultimative Kompliment, dass jemand ohne Rücksicht auf Verluste sein Ding durchzieht. Das finde ich nicht attraktiv. Man hat eine Rede geschrieben und hält sie. In einem Gespräch hast du den Mehrwert, das ist dialektisch, da entsteht etwas Neues. Das andere ist one sided communication, es wird abgespult und das war’s. Lustig ist das auch bei Leuten, die sagen, sie kommen vom Experimentellen. Nur darf bei ihren Experimenten nichts Ungewohntes herauskommen. Es soll ein Experiment sein, es darf aber nichts zeitigen, was man nicht vorher schon genau gewusst hat. Ein Experiment soll ja so sein, dass man durch die experience erst herausfindet, wie es sich anfühlt. Das Bild des DJs war immer das des großen Lehrers, der den Menschen etwas beibringt. Der weiß das alles, er hat seinen Stoff durchgepaukt und er kann ihn sehr gut vermitteln. Mit Zuckerbrot und Peitsche. Er kennt die Lösungen, weiß, wie die Antworten heißen. Wir können uns alle beruhigen, die Klasse kann sich setzen und alle machen eine gute Hausarbeit. Das ist schrecklich.

MH: Ich war etwas überrascht und habe mich gefragt, wie die anstehende Tour mit einer Band ins Bild passt und warum es überhaupt passen soll.
Das ist natürlich auch wieder ein Bruch. Ich habe mein Konzept des DJs und des DJs als Musikers nie mehr hinterfragt. Das habe ich als Konzept 1984 postuliert, DJs, minimal, hart, kompromisslos. Irgendwann kam ich an den Punkt, an dem ich gesehen habe, dass unheimlich viel Musik entstanden ist. Ideologisch habe ich natürlich auch »Tracks« gesagt, die Wahrheit ist aber, da ich ja diesen Hang zum Individuellen habe, dass auch diese Tracks eine sehr individuelle Signatur haben. Was dann im klassischen Sinn, obwohl es gegen meine höchst eigene Ideologie ist, doch ein gewissen Werkscharakter hat. Also dachte ich, warum nicht diesen Werkcharakter auch einmal herausstellen. Das soll nicht heißen: »Der Westbam muss jetzt Rockstar werden, alles Scheiße hier. Jetzt spielen wir gute, alte handgemachte Musik.« Ich habe 15 Jahre Musik, das einfach so zu spielen, meine alten Platten, die neuen – das wäre trostlos. Das jetzt anders zu machen, verbietet sich auch nicht mehr so. Der DJ-Act ist so durchgepaukt, dass es auch nicht mehr Avantgarde ist, wenn der Westbam sagt, er spiele nur als DJ. It’s been said. Der große Kulturkampf war ja: »DJs, no more fucking Rock’n’Roll.« Wenn man aber genau hinguckt, was hat der DJ eigentlich entmachtet? Eigentlich eher den klassischen elektronischen Musikact. So etwas wie Kraftwerk, was man jetzt auf der Tour sieht. Ich bin großer Kraftwerk-Fan, das ist nicht abwertend gemeint. Bei elektronischer Musik laufen Sequenzen, die sind nie gespielt worden, die sind vielleicht schon am Bildschirm entstanden, sind einmal eingespielt worden. Es macht ja auch nicht viel Sinn, das dann von Hand zu spielen. Warum? Da stehen vier Typen vor Bildschirmen und drücken auf den Knopf. Ich weiß nicht, ob die Veränderung, die ich jetzt gehört habe, entsteht, weil er auf den Knopf drückt oder passiert was ganz anderes und das war vorher schon programmiert? Oder läuft vielleicht ein Band? Ein DJ-Act, der in die Vollen greifen, synchronisieren kann usw., entmachtet einen elektronischen Act. Was heißt entmachtet, vielleicht eher erweitert?! Der DJ hat diese Form von elektronischer Musik auf ein neues Level gebracht, weil er mehr Möglichkeiten hat, einzugreifen.

TS: Es wird auch physischer.
Genau. Da hast du dann wieder diese Qualitäten. Bei Final Scratch-DJs weißt du einfach auch nicht genau. Es gibt ja diese Typen, die ihren Laptop auf eine Leinwand projizieren lassen, damit man sehen kann, dass es schriller wird, wenn sie an diesem Parameter drehen. Das ist doch eine ganz schön hilflose Geste: »Schaut hin, ich mach es wirklich! Es passiert wirklich etwas!« Genau das wollte ich nicht, also warum kein Kammerspiel machen? Ich hatte ja immer schon viele Drumloops auf Platten. Klar kann man jetzt sagen, dann soll er doch den Drumloop laufen lassen. Das finde ich aber als Konzept nicht gut, wenn ich auf den Knopf drücke und der Drumloop wird gespielt. Ich hab’ zum ersten Mal gecheckt, wie das ist, mit Musikern zu arbeiten. Du sagst, sie sollen mal was spielen und sie setzen sich, hören die Platte, fangen an zu spielen, zählen gleich mit und machen die Breaks schon automatisch an den richtigen Stellen. Oder du gibst den Sängerinnen den Text, sie fangen an zu jodeln und es passt gleich. Daraus ergibt sich für mich ein echter Mehrwert, dass ich mit solchen Leuten zusammenarbeite. Ich sehe da die Chance, dass ich wieder einen neuen Blickwinkel auf die Musik bekomme. Letztendlich ist das für mich immer wieder dieser egoistische Aspekt. Ich weiß wie das wäre, wenn ich mit Klaus so ein elektronisches Konzert machen würde, das fände ich selber trostlos. Wir würden Kanäle an- und ausmachen. Diese sehr direkte, traditionelle Herangehensweise ist da anders. Wenn ich einen zweiten Schlag haben will, hau’ ich eben zwei Mal drauf. Wenn es um eine konzertante Aufführung geht, hat das einfach Vorteile gegenüber der Elektronik. Die möchte ich gerne nutzen. Ich habe auch sonst nie feste Sets gespielt, jeden Abend dasselbe Stück nach demselben Stück. Zwanzig solche Gigs zu spielen, finde ich eine ganz fürchterliche Vorstellung. So wie das jetzt ist, ist das auch wieder ein Experiment. Ich habe keine Ahnung, wie das klingen wird und ich habe Freude daran, das zu orchestrieren, mich mit den Musikern zu treffen und die Stücke durchzugehen. Das Ganze zusammenzubauen, welche Stücke spielt man und was macht man eigentlich selbst, wo greift man ein, welche Spuren lässt man offen? Es hätte auch schon beim letzten Album passieren können, aber ich bin einfach nicht drauf gekommen. Ich bin gespannt, ob ich am Ende der Tour sage: »Ich höre jetzt auf zu DJen, das ist ja großartig!« – oder ob ich sage: »Gut, dass dieser Horror vorbei ist, ich möchte zurück an meine Plattenspieler.« Vielleicht ist es ja auch irgendwo dazwischen. Für mich ist das nichts, was sich gegenseitig in Frage stellt, es ist einfach eine andere Art, sich der eigenen Musik zu nähern, seine Musik zu präsentieren. Ich sehe keine ideologischen Gründe, das nicht zu machen. Im Gegenteil, wenn Leute dann »No more fucking Rock’n’Roll« schreien, sag’ ich dem Gitarristen, er soll mal ein Solo spielen. Natürlich konterkariert das ein paar Züge der Musik, aber immer im Rahmen des Konzeptes. Ich habe das immer so gemacht.

»Do You Believe In The Westworld?« von Westbam erscheint am 12. September 2005 via Low Spirit/SonyBMG. SPEX präsentiert die Tour im September.

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