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"Was ist Recordart?"
[von Westbam, Berlin im Januar 1985]

Record Art ist, kurz gesagt, ein Komponieren neuer Stücke anhand vorhandener Platten. Die einzige mir bekannte Record Art Aufnahme, die als Platte zu haben ist: DJ Afrika Bambaataa live (Death Mix). Von mir gibt es einige Livemitschnitte auf Tape.

Die Methoden der Record Art sind: das Mixen (Übereinander laufen lassen von Platten), das Cutten (Aneinanderschneiden von Platten) und, nicht zuletzt, das berühmtberüchtigte "Scratchen" (das sich allerdings einer kurzen, griffigen Definition sperrt): Keineswegs ist es nur das rhythmische Hin und Herwackeln,
zu dem es von seinen ignoranten Kritikern gemacht und von deutschen Diletanten Disc Jockeys zugerichtet wurde (Zitat eines wirklich großen Scratchers Grandmixer DST: "They are really ruining scratching!").

Am echten Scratching hängt neben oder vielleicht besser: vor der rhythmischen Akzentuierung eine neue Inhaltlichkeit, Wörter und Sätze können in eine andere Platte "hineingescratcht" werden. Neben diesem inhaltlichen Aspekt hängt von den oben genannten Herrschaften ebenfalls unbeachtet, eine bestimmte Mixkultur am Scratchen: Ein neues Stück kündigt sich im vorherigen durch eine sequenzierte, rhythmische Abfolge eines mehr oder minder charakteristischen Wortes, Satzes, Geräusches an, ebenso können Wörter oder Geräusche in die folgende Platte isoliert fortgeführt werden (das entspricht etwa dem Vermalen zweier Farbflächen, die in einem Bild aufeinandertreffen; aber ich will nichts beschönigen: Plattenauflegen ist längst nicht so romantisch wie Malen!).

Scratchen ist jedenfalls die wundervollste Erfindung, die in der Disco je gemacht wurde-der Wackel Gag ,,Skratschen" mag out sein, doch wer hat je davon gehört, daß eine Erfindung aus der Mode kommt ("der Otto Motor ist jetzt out!"). Und wenn ich mir diese Angst um Platten und Nadeln ansehe, muß ich sagen: Es gehört immer noch mehr Mut dazu zu Scratchen, als dazu, einen Korg Synthesizer auf white noise zu stellen und Krach zu machen (ich habe beides schon gemacht...).

"Sie mal," sagt Monika D. zu mir (ich wähle Ihr Beispiel, weil sie als Konzertmanagerin einen Namen hat und wir annehmen, daß sie urteilsfähig ist) "die ganze RapKiste Ist doch abgegessen" (ihre Konzerte wollen ja In der Tat mehr hip als Hiphop sein) "man sieht auch gar keine Breaker mehr auf dem Ku'damm" Zitat Ende. Was aber habe ich mit den blonden und blauäugigen Breakern vom Ku'damm zu tun?tun?
Record Art ist minimal music, sie ist unpopulär und unkommerziell. Die "Breaker vom Ku'damm" würden dem Death Mix von Afrika Bambaataa wahrscheinlich die Goldenen Vampire vorziehen.

Record Art ist alles andere als nett, sie ist bad, hard und mean, aber im Gegensatz zu Gruppen wie T.G. steht man als record artist nicht vor einem Haufen wohlwollend Interessierter Kunststudenten, sondern vor einem desinteressierten, betrunkenen "balzenden Pöbel" (wie ein Freund mir neulich schrieb).

Aber darin liegt zugleich die Größe dieser Kunst: Sie provoziert noch jemanden, sogar dieselben, die sich von Genesis POrridge ins Gesicht pissen lassen würden und es großartig fänden, fühlen sich von meiner Musik gequält Nach derem konservativen Musikverständnis macht man Avant Garde Musik eben mit Sythesizern und nicht mit Platten.

Auch Avant Gardisten haben ein Bedürfnis nach Ordnung: Auf der Bühne wilde Männer, die mit Eingeweiden werfen, in der Disco Schergen, die den Schrott von Section 25 auflegen und danach Nag,Nag,Nag, unzensiert sauber. Es ist wirklich so grotesk: Man will vernünftige, ordentliche Underground Musik; noch einmal Monika D.: "Ich mochte jetzt Birthday Party hören, aber ungescratcht!"

Ich habe mich daran gewöhnt, daß es einfach den Verstand der Menschen überfordert in einem Disk Jockey einen Musiker zu sehen, sonst müsste ich mir bei solchen Gelegenheiten vorkommen wie Blixa Bargeld sich fühlen müsste, wenn jemand zu ihm käme und verlangen würde, er solle doch mal "Nena" spielen. Andererseits amüsiert mich das allgemeine Unverständnis.

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