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"The Age of the Dj Mixer"

Der Futurismus ist in die Jahre gekommen. Seine Erfinder und Pioniere Marinetti, Boccioni und Russollo u. a. verehrten den Zeppelin, das Grammophon und den Ozeandampfer als Symbole der Zukunft. In der futuristischen Tradition stehen Kraftwerk mit ihrer Vorliebe für Fahrräder, Telefone, Taschenrechner, für Eilzüge und Bewegung im allgemeinen. Sie führten die Konzeption des Futurismus dort ein, wo schon die Futuristen sie gern gesehen hätten: in die Charts, in die Populärkultur. In den 70er Jahren bedienten sich Kraftwerk der Klänge analoger Syntheseizer, des Vocoders und der Beartbox um Zukunft zu repräsentieren. Der kuriose Beigeschmack dieser Gründerjahre , der nach Essen aus Tuben, nach Plastikkleidung und Raumschiff Enterprise, hat die Bewegung bis zur 91er Techno-Party nie ganz verlassen.

Aus dem Zukunftswaffenarsenal von damals schöpfen knapp zwanzig Jahre später noch immer die Nachfolger. Der Rückgriff auf mittlerweile veraltete Technologien, der mit dem futuristischen "Haß auf alles Vergangene" schwer in Einklang zu bringen ist, war bei der Geburt des Techno House in Detroit nicht zuletzt Mangelerscheinung. Spätestens in seiner dann folgenden Euro-Variante hatte sich der Mangek zur eigenen Ästhetik verselbstständigt. Der Weg von Kraftwerk zum elektronischen Volkstanz der Wandel von Bruitismus zur Folklore führte über Afrika Bambaataa´s "PlanetRock". Der Verdienst dieses Prototyp des Electro-Funk war keineswegs die Einführung neuer rätselhafter Sounds, oder bis dahin ungehörter musikalischer Strukturen, sondern im Gegenteil die Übersetzung der Konzeption elektronischer Tanzmusik aus der Elaboriertheit Kraftwerks in die Sphäre handhabbar- und finanzierbarer Technologien. So konnte aus dem isolierten Experiment einiger enigmatischer Herren aus Düsseldorf ein Genre werden.
In der Techno House Bewegung ist einmal mehr eine neue Generation von Musikern aufgetreten für die selbst die nähere Vergangenheit des ´88 er Acid-House gerade noch schemenhaft sichtbar am Horizont schon im Dunkel des Vergessens zu versinken beginnt.

Kraftwerk, Futurismus, sind Vokabeln, die nur noch als Echo zu ihnen herüberschallen, als Fetzen und Samples auftauchen und herumhängen, ungefähr wie die Taschenuhr des skalpierten Farmers am Totemfahl des Indianerstammes.
Der Aberglaube hat Konjunktur: digitale Aufnahmen werden ins Analoge überspielt, wegen der Wärme des analogen Klanges. Der Rhythmus muß direkt aus der Beatbox kommen und darf nicht gesamplet werden, "damit es besser groovt". Der Bug im Compter soll durch Handauflegen vertrieben werden.

Seltsam wirkt der semi-religiöse Kult, der sich speziell um Rolands 303/707/808/909 Boxen gebildet hat. Hier ist Zukunft nicht Fortschritt, sondern Mythos und Verwilderung. Gestammel macht sich breit- "es fliegen ja praktisch nur noch Atome durch die Luft", oder "Wir müssen nach 1989 zurück, um von dort aus endgültig in die Zukunft zu starten". Anstelle der Nüchternheit Kraftwerks ist im Techno House Delirium getreten, anstelle der Klarheit "Total Confusion".

Wo Sparsamkeit und Minimalismus war, ist jetzt "massive overload"; die Geometrie der Töne verschwindet im schamanistischen Strudel des Geräusches an sich. Ist Kraftwerk die Antike der elektronischen populären Musik, so ist Techno House ihr Mittelalter*: Zeit der Verbreitung des Glaubens und des Vergessens, der Dumpfheiten und Deformationen, kurz gesagt eine hochinteressante und wichtige Entwicklungsphase. Die Moderne in der populären elektronischen Musik steht noch aus. Mein Orakel: bis 1995 wird house music im engeren Sinne Vehikel dieser Entwicklung bleiben. Dann Zusammenbruch, Überraschung: die Moderne schlät im nächsten Jahrtausend zurück.

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